Die meisten Teilnehmer suchten beim Schachfestival München nach interessanten Gegnern. Für Ahmad Safy Kanz zählte, dass er überhaupt spielen durfte. In seiner Heimat ist Schach verboten. Stefan Löffler sprach mit dem 28-jährigen Afghanen.
Im Mai ging die Meldung durch die Presseagenturen, und viele Medien berichteten über das Schachverbot. Laut Ahmad Safy Kanz galt Schach in Afghanistan bereits seit zwei Jahren als „haram“. Es gab keine Turniere mehr, und der Schachverband wurde suspendiert. Offiziell sei das Verbot seit 2024. Einmal sei er im Park am Brett aufgegriffen und ins Gefängnis gesteckt worden, bis er versprach, nicht wieder in der Öffentlichkeit zu spielen. Danach habe er nur noch heimlich gespielt, vor allem online.
Während ihrer ersten Regierungszeit, in der Kanz zur Welt kam, hatten die Taliban Schach 1995 schon einmal verbannt. Das erneute Verbot wollten die Spieler und ihr Verbandspräsident nicht auf sich sitzen lassen. Eine Erlaubnis zum Start bei der Schacholympiade 2024 in Budapest würden sie von den Taliban nicht bekommen. Also machten sich die Spieler heimlich auf den Weg. Unter ihnen Ahmad Safy Kanz mit 3000 Dollar, die er als Immobilienmakler verdient hatte.
Um niemanden in Gefahr zu bringen, wurde Verwandten und Freunden gesagt, er sei geschäftlich in Kabul. Nur seine engste Familie wusste, dass er in den Iran gereist war, um von dort nach Ungarn zu kommen.
Sein erster Antrag auf ein Visum wurde von der ungarischen Botschaft abgelehnt. Am 10.September, dem Tag der Eröffnungsfeier, bekam er sein Visum. Mit dem letzten verbliebenen Geld kaufte er einen Flug von Teheran über Istanbul nach Budapest.
Derweil trommelte Verbandspräsident Ghulam Ali Malik Zad, seit August 2021 als politischer Flüchtling in Berlin, drei afghanische Spieler, die schon längere Zeit in Europa leben, zusammen. Ab Runde zwei trat das Team zu dritt an, in Runde drei stieß der mittlerweile eingetroffene Ahmad Safy Kanz dazu. Er holte vier Siege, vier Remis und verlor nur eine Partie.
Zurückkehren kam nicht in Frage. Er ist überzeugt, dass die Taliban ihn wegen der illegalen Ausreise und dem unerwünschten Start bei der Schacholympiade ins Gefängnis stecken würden. Ein afghanischer Freund habe ihm ein Ticket für den Flixbus nach München gekauft und für zwei Tage beherbergt, bis er zur Ausländerbehörde ging.
Seitdem wohnt er in Jettingen-Scheppach, einer Gemeinde bei Günzburg, lernt Deutsch und wartet auf eine Aufenthaltserlaubnis. Das Schachfestival München ist nicht sein erstes Turnier in Deutschland. Dank Schach fand er schnell Freunde und Gelegenheit, sein Deutsch zu erproben. Er spielte das „Freundschachts-Open“ in Friedberg und für den VfL Leipheim in der Landesliga Oberschwaben. Auch die SG Augsburg 1873 hat ihn als Mitglied aufgenommen. In München konnte er jetzt mitspielen, da ihm Schachfestival-Veranstalter Richard Holzberger für die Dauer des Turniers ein Apartment zur Verfügung stellte.
Seine Frau und seine drei kleinen Kinder halten sich versteckt, sagt Ahmad Safy Kanz. Wann er sie nachholen kann, wisse er noch nicht. Aber dass Deutschland ein Land voller Chancen für einen Schachspieler wie ihn sei. Und dass er bei der Schacholympiade 2026 dabei sein will: „Afghanistan darf nicht von der Landkarte des Schachs verschwinden.“
Das Schachfestival München
Seine Premiere feierte das Schachfestival München 2023 mit drei Turnieren plus Rahmenprogramm. Vor der zweiten Auflage 2024 unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dieter Reiter gründete das Organisationsteam den Trägerverein Schachfestival München e.V. und warb weitere Mitstreiter an, um das mehrwöchige Festival mit hunderten Gästen zur Tradition werden zu lassen. An potenziellen Mitspielerinnen und Mitspielern mangelt es nicht. Allein in München gibt es 35 Schachclubs mit etwa 2.250 Mitgliedern. Die Zahl der nicht organisierten Hobbyspieler liegt um ein Vielfaches darüber.
Bildzeilen:
6: Ahmad Safy Kanz am Brett für Afghanistan bei der Schacholympiade 2018 in Georgien. | Foto: FIDE
7: Ahmad Safy Kanz bei einem Turnier des VfL Leipheim, dessen neuer Spitzenspieler er ist. | Foto via VfL Leipheim 8: Ein Bild aus den Jahren vor 2024, als öffentliches Schach in Afghanistan noch nicht geahndet wurde. | Foto: privat